Zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wird Valeria durch sarkastisch-humorvolle TikTok-Videos zum Gesicht der jungen Kriegsgeneration. Ihre Art, die schreckliche Realität ins Komische zu ziehen und ihr oft unbewegter Gesichtsausdruck faszinierten Millionen von Follower.innen. Dann flieht sie nach Italien und weiter nach Deutschland. Es ist nicht leicht für sie, Anschluss zu finden und mit den negativen Kommentaren umzugehen. Sie muss ihren eigenen Weg finden…

 

Neben den TikTok-Aufnahmen von Valeria erzählt der Film mit beobachtenden Bildern und einer stilisierten inszenierten Ebene. Anhand von Valerias Geschichte wird deutlich, wie eine junge Generation, die vornehmlich durch die Linse ihrer Smartphones auf die Realität blickt, den Krieg und seine Folgen wahrnimmt. Dabei erleben wir auch, wie das anfängliche Interesse an den Kriegsgeschehnissen und die Solidarität mit den Geflüchteten abnehmen.

Die Schülerin Viola Hanft, Q12 vom Armin-Knab-Gymnasium in Kitzingen, schreibt für das m80 Jugendmagazin einen Filbericht und führt ein Interview
mit der Protagonistin und der Regisseurin.

 

 

„Queens don’t care about negative comments.“ Diese Aussage trifft die Persönlichkeit der jungen Ukrainerin aus Tschernihiw ziemlich gut. Für die TikTokerin Valeria Shashenok alias @valerisssh fing alles in einem ausgebauten Keller an, den sie und ihre Familie zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf ihr Land als Luftschutzbunker nutzten. Dort kam Valeria auf die Idee, ihr zu diesem Zeitpunkt beängstigendes und trauriges Leben durch sarkastisch-humorvolle TikToks über die Situation mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Die Filmemacherin Nicola Fegg wurde schnell auf ihr Profil aufmerksam und war sich sicher, dass es einen Film über sie geben müsse. Nachdem Valeria plötzlich drei Tage überhaupt nichts gepostet hatte und sich schon viele ihrer Follower Sorgen gemacht hatten, entschied sich Nicola Fegg dazu, das Mädchen über Instagram anzuschreiben. Bald stand fest: Es wird einen Dokumentarfilm über die junge Ukrainerin geben.

Ich habe beim Filmfestival DOK.fest München als Filmauswahl-Sichterin einige Filmen bewertet, dabei auch der 30minütige Film FOLLOWING VALERIA von Nicola Fegg. Dieser wurde jetzt für das Bildungsprogramm DOK.education ausgewählt. Wenn man sich ein wenig mit dem Film beschäftigt, dann wird auch schnell deutlich, warum.

Der Film

Die erste Szene zeigt Valeria nachts alleine, rauchend, an einem Busbahnhof.
Danach sehen wir einen Zusammenschnitt ihrer eigenen TikToks,
die zunächst vom Kriegsbeginn, Bombenangriffen und der Zeit in dem Luftschutzbunker,
dann aber auch von der Flucht aus der Ukraine mit dem Zug
über Polen nach Italien handeln. In Mailand beginnt für Valeria ein neues
Leben. Eines in dem sie neben dem Ankommen in der fremden Umgebung
auch lernen muss, mit Hasskommentaren wie „Kriegs-Influencerin“ umzugehen.
Als Valeria ihren ebenfalls geflüchteten Bruder in Nürnberg besucht,
beschließt sie, in Deutschland zu bleiben.

 

Das Filmteam begleitet Valeria so oft sie es erlaubt. Zum Beispiel bei ihrem Ausflug nach Brüssel zum EU-Parlament, wo sie auf Ursula von der Leyen und Olena Selenska, die First Lady der Ukraine trifft. Bei der Gelegenheit zeigt sich auch schön, wie selbstbewusst Valeria bestimmen möchte, wie sie gesehen wird: Als sie eine Anfrage eines Reporters ablehnt, der mit ihr auf unprofessionelle Art ein Interview für TikTok führen möchte. Im Vordergrund des Films steht ihr neuer Alltag, den sie manchmal sogar fast genießen könnte, aber der Umgang mit Kriegserlebnissen und der weiterhin schlimmen Zustände in der Ukraine belasten sie.

Wie soll ein junger Mensch damit umgehen?

Valeria wird vor der Kamera nicht nur als dauerhaft gut gelaunter, offener Mensch dargestellt. Es sind auch Szenen zu sehen, in denen sie ihre verletzliche Seite zeigt. Beispielsweise fällt es ihr anfangs schwer, dabei gefilmt zu werden, wie sie ihre TikToks aufnimmt. Valerias Wille, mehr Bewusstsein für die ungerechten Taten in ihrem Land zu wecken, überwiegt jedoch. Sie gibt die Hoffnung nicht auf und lässt sich von nichts und niemandem davon abhalten.

Meinung

Für mich persönlich war der Krieg in der Ukraine, bis ich den Film FOLLOWING VALERIA gesehen habe, ein Thema, mit dem ich mich wegen der vielen schrecklichen Bilder und Nachrichten alles andere als gerne auseinander gesetzt habe. Außerdem konnte ich mir nie wirklich vorstellen, wie sich die Geflüchteten denn tatsächlich fühlen bzw. was sie alles auf ihrer Flucht und dann auch in ihrem neuen Alltag erleben müssen. Durch FOLLWOING VALERIA habe ich jedoch festgestellt, dass es extrem wichtig ist,
sich mit dem Thema zu beschäftigen und dass noch viel mehr dahinter steckt, als ich ursprünglich dachte.

Besonders gut hat mir gefallen, dass der Film authentisch ist. Neben den positiven Kommentaren unter Valerias TikToks werden eben auch die negativen vorgelesen. Außerdem lernt man die Ukrainerin persönlich gut kennen, da sie auf jedem Schritt begleitet wird, egal ob es vorwärts oder rückwärts geht. So fällt es mir leicht, meine eigene Lebenssituation mit ihrer zu vergleichen und mich in ihre Lage zu versetzen.

Des Weiteren nimmt ihr humorvoller Umgang mit dem Krieg eine enorme Last von dem doch sehr schwierigen, ernsten Thema, sodass es viel einfacher ist, darüber zu sprechen. Der Film hat mir nochmal verdeutlicht, dass sich die Menschen aus der Ukraine in einer extrem hilflosen Position befinden.

Ihr Leben hat sich vor dem Krieg nicht wirklich von unserem Leben in
Deutschland unterschieden, mit dem Angriff Russlands wurde es jedoch abrupt zerstört.
Auch filmtechnisch ist FOLLOWING VALERIA sehr gelungen. Durch ästhetische Nahaufnahmen von Valeria, bei denen ihr Blick in die Kamera gerichtet ist, wird spürbar, wie ihre Vertrautheit zum Filmteam im Laufe der Handlung immer weiter wächst.

In einem Interview erwähnt die Filmemacherin Nicola Fegg, dass sich während der Produktion ein freundschaftliches, fast schon geschwisterliches Verhältnis zwischen ihr und Valeria aufbaute. Zusammenfassend kann ich den Film FOLLOWING VALERIA absolut empfehlen, da der Film vor allem mit seiner Authentizität und Nähe zur Protagonistin punktet.

Valeria Shashenok im Gespräch mit der m80 Jugendredaktuerin

m80: Wie war es für dich, die Ukraine ohne deine Familie zu verlassen?

Es war total beschissen. Ich wollte meine Augen schließen und in einer
anderen Realität aufwachen oder auf einen anderen Planeten fliegen.

 

m80: Dokumentarfilme erzählen anders als Reals auf Instagram. Wie war es für dich, im Dokumentarfilms vor der Kamera zu stehen?

Am Anfang war es für mich schwierig, weil ich so eine Person bin, die immer die Kontrolle über alles haben möchte. Ich filme und schneide gerne, aber in dieser Situation muss ich ja anderen Leuten vertrauen, dass sie es so machen, dass ich mich gut fühle damit. Ich habe darum erstmal nichts erwartet, damit meine Erwartung nicht in Enttäuschung umschlägt 🙂 Jetzt bin ich jedenfalls froh, dass es den Film gibt. Ich habe sogar darüber nachgedacht, dass ich selbst auch einen Dokumentarfilm machen möchte.

m80: Hat die Anwesenheit eines Filmteams deinen Alltag beeinflusst?

Ich konnte absolut ich selbst sein in dem Film. Ich mochte den Prozess des Drehens. Vor allem, als das Drehteam nach Deutschland ins Dorf kam. Auf meinem Kanal kann man Making-of-Bilder sehen.

m80: Wie war es, als du den Film zum ersten Mal gesehen hast?

Ich war in Kiew als ich den Film sah. Mir wurde klar, dass die Art, wie ich mich selbst sehe, und die Art, wie ich im Film aussehe, zwei verschiedene Personen sind: Ich denke von mir, dass ich wie eine kluge und selbstbewusste Frau aussehe, im Filme hatte ich teilweise das Gefühl, dass ich ein junges Mädchen vor mir habe.

m80: Als Du mehr Follower*innen bekommen hast, gab es sehr viele positive
Reaktionen. Aber auch negative Kommentare. Wie bist Du damit umgegangen?

Königinnen kümmern sich nicht um negative Kommentare. Ich finde es gut, dass ich Videos mache und helfe, Geld für humanitäre Hilfe zu sammeln.

m80: Im Film sehen wir deinen Besuch im EU-Parlament. Wie bewertetest du
das Treffen mit den PolitikerInnen?

Es ist wichtig, dass die EU an der Seite der Ukraine steht. Ich habe mich gefreut, dass sie mich eingeladen haben. Ich bin froh, dass ich all diese Leute gesehen habe.

m80: Wie geht es mit deinem Buch und deinem TikTok-Kanal weiter?

Ich werde weiterhin Informationen über die russische Invasion und mein Leben verbreiten. Mein Buch ist mittlerweile erschienen und kann in mehreren Ländern gekauft werden. Und es wird noch mehr kommen.

 

 

Wer sich den Film gerne ansehen möchte: er befindet sich sieht den Film online in der Mediathek in der Reihe „3sat ab18!“.