Nachbarn schlachteten Nachbarn. Freunde erschlugen Freunde. Grauenhafte Verbre­chen passierten 1994 in Ruanda, Afrika. 100 Tage lang wütete der Völkermord – und die Welt sah dabei zu, wie nahezu eine Million Tutsi ihr Leben verloren. Jeanne d’Arc, eine Überlebende dieses Massakers, die als Achtjährige mit ansehen musste, wie ihre Familie ausgelöscht wurde, sprach Jah­re später mit ihrer Adoptivmutter, der Autorin Hanna Jansen (Foto rechts), über ihre Erlebnisse: So entstand das Buch “Über tausend Hügel wandere ich mit dir“, das dieses Jahr neu aufgelegt wird. Wir fragten die Schriftstellerin nach ihrer Tochter Jeanne, über ihr Leben mit vielen Adoptivkindern und das Schreiben.

© Wikipedia

INFO

Völkermord 1994 in Ruanda:

Die Geschwindigkeit des Völkermords in Ruanda, der vor mehr als 20 Jahren begann, ist in der Geschichte der Menschheit einmalig: Rund 800.000 bis eine Million Menschen wurden in nur 100 Tagen umgebracht (vom 6. April – Mitte Juli 1994). Auch weil Hunderttausende Zivilisten dabei mitmachten. Die Haupttäter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Nationalpolizei und der Verwaltung. Angehörige der Hutu-Mehrheit töteten 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit.sowie Hutu, die sich nicht am Völkermord beteiligten. Der Massen­mord hätte aus heutiger Sicht durch die Entsendung von 5.000 bis 8.000 UN-Sol­daten wohl weitgehend verhindert werden können.

Interview mit der Autorin Hanna Jansen über die erschütternde Lebensgeschichte ihrer Adoptivtochter Jeanne aus Ruanda, deren Familie ermordet wurde

h20 //Frau Jansen, wie geht es Ihrer Adoptivtochter Jeanne heute?

Hanna Jansen // Jeanne ist heute 28 Jahre alt und fühlt sich gut.

Was macht sie heute beruflich?

Sie arbeitet in einem Labor und untersucht Medikamente gegen Krebs. Sie hat eine Ausbildung als Pharmazeutisch -Techni­sche Assistentin abgeschlossen.

© Wikipedia

Wie geht Jeanne heute mit ihrem Trauma um?

So ein Ereignis kann man natürlich nie ganz vergessen, aber sie versucht so gut wie möglich ein normales Leben zu führen und nach vorne zu schauen.

Hat Jeanne Ruanda nach dem Völkermord 1994 noch einmal besucht?

Sie ist vor zwei Jahren einmal dort gewesen und erst vor kurzem im Oktober, um ihrem Freund ihr Heimatland zu zeigen.

Hat sie noch Familienmitglieder, die am Leben sind?

Ja, es gibt noch zwei Tanten, Schwestern mütterlicherseits. Beide leben heute in Deutschland.

Wie kam es dazu, dass Sie Jeanne adoptierten?

Ihre Tante nahm sie nach dem Geschehen auf und versorgte sie vorerst. Doch die Tante lebte alleine und konnte sich nicht um Jeanne kümmern. So kam es, dass wir sie aufnahmen.

Waren Jeanne und ihre Erzählungen der Auslöser für das Buch oder haben Sie zuvor schon einmal Ähnliches verfasst?

Jeanne war das erste Kind, welches über ihre Vergangenheit so offen gesprochen hat mit uns.

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Geschichte aus Jeannes Erzählungen heraus zu schreiben?

Als Jeanne 14 Jahre alt war und von einer Geburtstagsparty nach Hause kam, war sie schockiert über das Unwissen der Eltern ihrer Freundin. Sie wussten nichts von dem Massaker 1994 in Ruanda. Das war der Auslöser zum Schreiben des Buches: Um der Welt mitzuteilen, was damals passiert ist. Als das Buch erschie­nen war, war Jeanne sehr belastet durch die Fragen anderer Menschen zum Buch. Trotz der Belastung hat es ihr sehr geholfen, mit dem Trauma zu leben und ein bisschen darüber hinweg zu kommen. Heute will sie nach vorne blicken und ein glückliches, normales Leben führen.

Was bringt Menschen dazu, solche Massaker zu begehen?

Die Menschen sind unberechenbar und haben Hass und Rohheit in sich, was sie manchmal zur “Bestie“ werden lässt. Sie fühlen sich vernach­lässigt, benachteiligt und schieben die Schuld auf andere Menschen oder Religionen. Sie vergessen das Menschliche dabei. In Ruanda begann der Hass zwischen den Völkern (Tutsi und Hutu) schon Jahrzehnte vor dem Völker­mord 1994. Die Hutu bezeichneten die Tutsi als Kakerlaken und machten sie für alles verantwort­lich. Der Angriff der Hutus war schon länger geplant. Sie ließen sich Macheten aus China liefern. Hutu-Nachbarn und Freunde wurden vom Hass ihres Volkes angesteckt und so kam es, dass Freunde ihre Freunde, Nachbarn ihre Nachbarn und Verwandte ihre Verwandte umbrachten, nur weil diese Tutsi waren. Sie löschten die Tutsi fast ganz aus – nur weil diese nicht in ihre Vorstellungen des Lebens passten.

Ist es Ihnen gelungen, gegen die Verdrän­gung und das Vergessen des Völkermordes anzuschreiben? Hätten Sie sich mehr Reaktionen oder Hilfe von den Menschen gewünscht?

Man kann ja nie wissen, wie viel es geholfen hat, aber ich glaube, es hat schon viel bewegt. Dieses Jahr kommt die Neuerscheinung raus, und ich denke, das Thema ist aktueller denn je. Im Moment passieren ähnliche Dinge wie damals und wieder kommen junge Menschen nach Deutschland und Europa ohne Eltern, um hier Schutz zu suchen.

Beruhen alle Ihre Geschichten auf realen Vorkommnissen?

Nicht alles stimmt, trotzdem sind es reale Ereignisse und keine Fantasy-Geschichten. Ich versuche alles wahrheitsgemäß wiederzugeben. Jeanne hat sehr reduziert geredet. Sie erzählte von Gefühlen, Gedanken und Dialogen zwischen ihr und ihren Familienangehörigen. Sie war das erste Kind, welches anfing über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Was bedeutet das Schreiben für Sie?

Es ist das, was ich am besten kann und was mir viel bedeutet. Ich habe schon als Kind kleine Theaterstücke,

Gedichte und Geschichten geschrieben und ohne das Schreiben würde ich mich nicht ganz fühlen. Das Schreiben hat mich immer an der Oberfläche gehalten.

Sie haben ein leibliches Kind und 13 adoptierte Kinder, inzwischen sind schon fast alle erwachsen. Wie haben Sie es neben ihrer Karriere geschafft, 14 Kinder großzuziehen?

Wir adoptierten keine kleinen Kinder, sondern zum Teil schon 12-Jährige. Wir bildeten eine Lebensgemeinschaft, wo wir alle gemeinsam an einem Strang zogen.

Schreiben Sie bereits an einem neuen Buch und wovon handelt es?

Zurzeit arbeite ich an zwei Projekten: An einem Krimi über eine Neonazi-Szene, wo auch Fremdenhass mitspielt. Das zweite Projekt ist historischer Stoff. Es geht um einen realen Menschen, welcher im 20. Jahrhundert in Siegburg lebte und Zwerg und Zwitter zugleich war. Ich erfinde seine Lebensgeschichte praktisch selbst, wie er überlebte und wie er sich fühlte.

Was wird an der Neuerscheinung von “Über tausend Hügel wandere ich mit dir“ alles verändert sein?

Ich habe das allzu Persönliche raus-genommen. Im Jugendbuch von 2002 war vor jedem Kapitel eine Situation beschrieben, welche ich mit Jeanne erlebt habe, das wird es in der Neuerscheinung nicht mehr geben.