Samstag: 19:30 Uhr – ein Freund schreibt mir, dass er es noch nicht wisse, ob er heute Abend in eine Bar mitkommen wird. Mal sehen, schreibt er. Und, dass er vielleicht nachkommen wird.

Um 21:00 Uhr wollen wir gehen und ich frage mich, ob ich spießig bin, wenn ich mich schon einen Tag vorher festlege und das Treffen mit meinen Freunden zusage? Doch, liegt das Problem wirklich bei mir? Bin ich zu spießig und unlocker? Sollte ich mehr so sein wie er und am besten erst zehn Minuten vor dem Treffen zusagen?

Diese Unentschlossenheit des Freundes ist kein Einzelfall. Immer wieder fällt mir auf, dass es Menschen aus unserer Generation schwerfällt, feste Dinge zu vereinbaren. So wird ein Treffen schnell noch zugesagt, in den letzten drei Tagen war dafür ja nicht genug Zeit. Und der Urlaub im Sommer? Ach, den müssen wir doch noch nicht zwei Wochen zuvor buchen, das machen wir dann schon noch. Versteht mich nicht falsch, Spontanität ist toll und führt oft zu lustigen Erlebnissen – aber wo bleibt da die Vorfreude auf? Das Problem liegt meiner Meinung nach an unserem Konsumverhalten. Unsere Generation konsumiert im Unverstand. Fünf neue T-Shirts hier, ein neues Handy da, drei neue Folgen einer Netflix-Serie am Tag und morgen gleich die nächste. Aber es ist nicht nur das. Der größte Faktor liegt, wie ich finde an unseren Handy-Apps selbst. Instagram, Spotify, Tinder & Co, sie alle ermöglichen es uns, unser Konsumverhalten in vollen Zügen auszuleben.

Fast jeder hat im Jahre 2019 einen Instagramaccount und natürlich ist der dadurch neu entstandene Beruf „Influencer“ längst kein Unbekannter mehr. So folgen wir im Durchschnitt circa zwanzig bis dreißig Bloggern. Jeder von ihnen versorgt uns mit mindestens zwei neuen Bildern am Tag. Bali, L.A., Paris oder New York. Sekundenschnell wechseln wir dank der Bilder die Orte. Die Welt um uns herum vergessen wir dabei. Zentimeter für Zentimeter, nein, Meter für Meter, ja sogar Kilometer für Kilometer scrollen wir uns durch das News-Feed und entscheiden dabei im Bruchteil einer Sekunde über Gefallen und Nichtgefallen. Uns schrecken weder dramatische Bilder, zu oft haben wir schon Schlimmeres gesehen, noch haben wir ein Auge für schöne Dinge, zu oft haben wir schon Anziehenderes gesehen.

Gleiches gilt für Spotify und Tinder. Eine lässige Wischbewegung und alles kann geändert werden – Bilder, Musik, Freunde und Beziehungen.

© NataliaVarlamova; AsierRomeroCarballo – depositphotos

Wir scrollen und klicken weiter und weiter, es könnten ja bessere Beiträge kommen, bewundernswertere Bilder, makellosere Menschen, technohaltigere Technolieder, aufregendere Abendgestaltungsangebote. Wobei wir wieder beim Thema wären. Durch unser tägliches Konsumverhalten auf Social Media, aber auch in der realen Welt, verlernen wir, zu verweilen. Wer geht heute schon noch eine ernsthafte, länger anhaltende Beziehung ein? Es könnte ja ein coolerer Freund oder eine hübschere Freundin um die Ecke warten und was wäre, wenn man ausgerechnet dann nicht mehr die Freiheit hätte zu entscheiden? Wer entscheidet sich schon gleich nach der Schule für ein Studium? Erst einmal ein Jahr Pause. Es könnte sich ja etwas Spannendes ergeben, während man in einer Vorlesung sitzt. Und was wäre, wenn man ausgerechnet dann nicht mehr die Freiheit hätte zu entscheiden?

Die meisten von uns warten ab. Warten, dass sich etwas Spannenderes findet, als ein Studium und warten, dass etwas Besseres geboten wird, als das Bisherige. Vor lauter warten jedoch, verpassen wir das wirkliche Leben. Das, was sich abspielt, während wir darauf warten, eine aufregenderes Abendgestaltungsangebot unterbreitet zu bekommen. In diesem Sinne wünsche ich allen von euch ein bisschen mehr Mut und Old-Schoolness, Verabredungen drei Tage zuvor schon zu vereinbaren und die Vorfreude zu genießen, das Beste aus einem Abend herausholen zu werden, wenn man sich nur darauf einlässt.

Erst gestern stand ich vor dem Shampoo- Regal in der Drogerie und fragte mich, für welches der 76 Shampoos ich mich wohl entscheiden sollte. Ich verbrachte dort zehn Minuten und hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich vor dem Schminkregal, dem Bodylotionregal und sämtlichen anderen Regalen ebenso überfordert gestanden. Da stellte ich mir die Frage, ob es unserer Generation deshalb so schwer fällt, sich für etwas zu entscheiden, weil zu viel von allem vorhanden ist?

Es ist ja nicht nur in der Drogerie so, dass wir zwischen tausenden Produkten wählen können, heutzutage herrschen Überangebote in allen Bereichen. Wer kann sich heute schon noch für einen Urlaub entscheiden, wenn er zwischen hunderten Hotels wählen kann? Wer entscheidet sich für die erste Person auf Datingplattformen, wenn es unbegrenzt viele andere gibt? Wer entscheidet sich für einen Beruf oder ein Studium, wenn es tausend andere gibt, die eventuell besser passen könnten? Wer entscheidet sich für das erstbeste Shampoo, wenn einen ein paar Dutzend andere aus dem Regal ansehen? Ganz bestimmt entscheidet sich die Generation überfordert, unsere Generation, nicht dafür. Während früher das Risiko eingegangen wurde, auch einen Beruf anzunehmen, welcher nicht zu 100% den Vorstellungen entspricht, wird heute der wohl größte Hype um das gemacht, was Schülerinnen und Schüler nach ihrem Abschluss machen werden.

Doch ist die Generation, die riskiert hat, etwas zu erlernen, was nicht perfekt zu ihr gepasst hat, deshalb unglücklicher? Oder ist doch eher unsere Generation die unzufriedenere? Weil wir nach dem Abschluss ein Jahr Pause machen, in der Hoffnung, dass uns zugeflogen kommt, was das richtige ist und nach den zwölf Monaten bemerken, dass sich nichts geändert hat, außer, dass wir jetzt noch ein bisschen verzweifelter sind, da das Jahr von dem wir uns doch so viel erhofft haben, nichts gebracht hat? Wir können uns schon nicht für Shampoo entscheiden, kein Wunder bei dem Überangebot, wie sollen wir uns da für einen Beruf entscheiden, der über unser ganzes Leben entscheiden wird?

Doch ich frage mich, ob wir die Generation Überfordert sind oder die Generation Mutlos”?

Text // Anna-Lena Schneider