Was ist Heimat? Wie wird ein Ort oder eine Person zu einer Heimat?

Auch wenn wir uns mit diesen Fragen selten beschäftigen, haben sie eine ebenso wichtige Bedeutung. Unsere eigene Heimat kann unterschiedliche Formen annehmen. Sei es für einige die Silhouette des Oktoberfestes auf der Theresienwiese, für andere der Geruch von frischer Luft hoch in den Bergen. Auf der Suche nach einer universellen Antwort machten sich die Regisseurinnen des Filmes „Warum ich hier bin“ und fanden eigene außergewöhnliche Antworten darauf.

Diese bekamen sie von ihren Protagonisten: Leijla aus dem ehemaligen Jugoslawien und heutigen Bosnien, Cacau aus Brasilien, Frau Schiller aus Ostpreußen, Lena aus Japan und Ahmad aus Syrien. Alle verbindet nämlich genau eins: Ihre Sicht auf diesen so vielfältigen Begriff. In einem anspruchsvollen Kinderfilm verknüpft mit hochwertigen Animationen bekommt ihr am 10.Mai im Carl-Amery-Saal im Rahmen des Kinderkinos des Dok.fests die Möglichkeit diese zu entdecken. Wir, Luise, Matteo und Angelina vom m80 Redaktionsworkshop, durften diesen Film schon vor seiner münchner Premiere sehen und fanden besonders die unterschiedlichen Animationsstile der einzelnen Protagonisten großartig.

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Eine zusätzliche Besonderheit des Filmes ist die Art, mit welcher der Zuschauer eine Verbindung zu den Protagonisten aufbaut: Die Regie ist bewusst im Bild und begleitet den Zuschauer. Durch diese „MakingOf“-Szenen fühlten wir uns wie ein Teil des Filmteams und noch enger mit den Protagonisten verbunden, als alleine durch die bewegten und begleitenden Kameraperspektiven. Auffallend waren auch die Jump Cuts, welche spielerisch im Verlaufe des Filmes benutzt wurden. Da solche Schnitte in den meisten Produktionen nicht vorhanden sind, wirkten sie zu Beginn des Filmes unprofessionell, im weiteren Verlauf aber ließen sie den Film authentisch erscheinen.

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Die meisten Orte werden für uns zu Heimaten, indem wir dort aufwachsen. Wir verspüren zu diesen eine Verbundenheit, da wir bestimmte Erinnerungen mit diesen Orten verknüpfen, welche uns entweder das Herz erwärmen oder schwerer machen. Aber es gibt auch einige, die für uns zu einer Heimat werden, wenn wir dort eine längere Zeit verbracht haben, welche eine entscheidende Rolle in unserem Leben spielte. 

An diesen Orten müssen wir nicht aufgewachsenen sein, sondern angekommen.

So erzählte zum Beispiel Leija, dass sie zwei Heimaten hätte: eine in Bosnien und eine in Deutschland. In Bosnien sei sie von Geburt an aufgewachsen, bis sie im Kindesalter aufgrund der durch Religionskonflikte entstandenen Jugoslawienkriege mit ihrem Vater nach Deutschland fliehen musste. Auch Ahmad musste im Kindesalter aus seiner Heimat Syrien fliehen. Aufgrund der dort herrschenden Diktatur kam der jetzige Schüler im Herbst 2015 mit seiner Familie in Deutschland an. Auch wenn er aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse einen schweren Start in ein neues Leben hatte, fand er schon eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft neue Freunde in seiner neuen Klasse. Trotzdem lasten die Erinnerungen an seine alte Heimat auf ihm. Lena hingegen betonte die meiste Zeit, dass sie trotz ihrer Flucht ausgelöst durch das Atomunglück Fukushimas mit dem Verlust ihrer Freunde schwer zu kämpfen hat und dadurch nie richtig angekommen sei.

Jede Geschichte fanden wir auf ihre eigene Art besonders packend. So zählte für mich zum Beispiel die Erzählung von Frau Schiller, deren Zeichenstil der Erinnerungen mich persönlich sehr an Sophie School erinnerte, zu eine der spannendsten. Diese Verknüpfung entstand für mich, Angelina, aufgrund der ähnlichen zeitgeschichtlichen Hintergründen beider und führte sich trotz der unterschiedlichen Geschichten im ganzen Film fort. Frau Schillers Kindheit war geprägt von Verlust, Einsamkeit und dem Kampf ums Überleben, was sie auffallend fesselnd machte. Einziger Kritikpunkt für uns wäre die zu leichte Anschneidung der Geschichte von Cacau, welche dadurch im Vergleich zu den anderen unterging.

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„Warum ich hier bin“ ist für uns eine faszinierende Verknüpfung von Dokumentationsfilm und Heimatserzählung, welche durch ein witziges Pizzaessen entstanden ist.

Nähere Informationen dazu findet ihr im folgenden Interview mit der Regisseurin Susanne Mi-Son Quester.

Interview mit der Regisseurin Susanne Mi-Son Quester

Susanne Mi-Son Quester, ist in Starnberg geboren und aufgewachsen und hat an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) sowie an der Korean National University of Arts ihr Dokumentarfilmstudium absolviert. Nachdem sie schon viele kurze Filme produziert hat, ist im vergangenen Jahr ein neuer Film fertig gestellt worden. Die Regisseurin von „Warum ich hier bin“ freut sich sehr, dass der Film nun auch vor Münchner Publikum Premiere hat, denn in Leipzig und Stuttgart lief er bereits über die Leinwand. Susanne Mi-Son Quester berichtet uns lachend, dass sie zu diesem Projekt mehr oder weniger durch Pizzaschulden gezwungen wurde.

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m80: Du hast an der HFF studiert. Wie viele Filme hast du schon gedreht?

Susanne: Ich ha

be bis jetzt zwei lange und acht kurze Filme gedreht. Der Film „Warum ich hier bin“ ist 65 Minuten lang und zählt als Kinderfilm deshalb als Langfilm.

m80: Wie kam es dazu, den Film „Warum ich hier bin“ zu drehen?

Susanne: Ich war am Rande der Berlinale mit einer Freundin, die im Kinderfilmbereich tätig ist, Pizzaessen. Ich hatte mein Geld vergessen, aber sie sprang für mich ein. ‚Ich zahle deine Pizza, aber dann mach du doch den Kinderfilm!‘ Also bin ich nach Hause gefahren und habe Mieko Azuma angerufen. Wir haben gemeinsam studiert und wo immer es ging, zusammengearbeitet. Ich habe ihr von meinen „Schulden“ erzählt und dass ich jetzt einen Kinderfilm machen muss. (lacht) Sie war sofort begeistert und hatte sich bereits länger überlegt, einen Film für Kinder zu machen.

m80: Was war deine persönliche Motivation, einen Film über Flüchtlinge zu drehen?

Susanne: Dass Mieko Japanerin ist und ich Halbkoreanerin bin, hat natürlich auch den Zugang zu unserem Thema bestimmt und war auch einer der Auslöser, dass wir den Film machen wollten. Zudem kam 2015 die große Flüchtlingswelle und ich erinnere mich noch an eine Situation, als ich mit meiner Mutter in der Nähe vom Hauptbahnhof verabredet war. Sie ist in Nordkorea geboren und noch während des Kriegs als Kind mit ihrer Familie nach Südkorea geflohen. Wir haben die Busse und all die herzlichen Leute gesehen. Da hat meine Mutter gesagt: ‚Ich frage mich, ob die Leute auch so freundlich waren, als wir geflohen sind‘. Und das war für mich auch ein Auslöser. Denn da draußen stehen sicher viele Leute, die auch so eine Assoziation und Erinnerung haben und es ist wichtig, sowas zu erzählen.

m80: Wie habt ihr die einzelnen Schicksale ausgewählt?

Susanne: Uns war es wichtig, ein breites Spektrum abzudecken und nicht die Geschichte von „denen, die kommen“ zu erzählen, sondern einfach um zu zeigen, dass dieses Thema so viele Aspekte hat und letztendlich jeder in seiner Familie, wenn er ein oder zwei Generationen zurückgeht, irgendeine Fluchtgeschichte finden wird. Ich finde, dass jede dieser Geschichten, dadurch, dass sie so unterschiedlich sind, einen Aspekt hat, den die anderen nicht erfüllen würden und dass deswegen auch alle wichtig sind.

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m80: Wie lang hat es von der Idee bis zum fertigen Film insgesamt gedauert?

Susanne: Insgesamt vier Jahre, aber in diesem Zeitraum habe ich auch noch an einem anderen Film gearbeitet. 2015 haben wir angefangen zu schreiben. 2016 haben wir die ersten Interviews gedreht, aber wir haben lange kein Kind aus Syrien gefunden. Das war das Allerschwierigste und hat fast zwei Jahre gedauert. 2017 haben wir gedreht und 2018 ist der Film fertig geworden. Ich finde, das ist schnell gegangen (lacht).

m80: Vielen Dank für das Interview und den spannenden Einblick in deine Arbeit.

Text und Interview // Angelina Walter, Luise Kwak und Matteo Hoffmann