Ein Monat, ein Land, sechs Städte und ca. 21 Flugstunden später

(die Wartezeit am Flughafen mal nicht eingerechnet) fällt einem auf, was diese Städte alle gemeinsam haben, etwas ganz offensichtliches, nein nicht die Sprache und auch nicht der alle zehn Meter auftauchende Starbucks, ich meine den Flughafen. Ich sag ja, ganz offensichtlich.

Das Schönste am Flughafen ist das „Arrival Gate“, dort finden sich immer die unterschiedlichsten Leute zusammen. Zum einen die “Geschäftspartner“, diese Spezies ist gut an den formalen, meist schwarzen Anzügen zu erkennen, dem ernsten Blick und natürlich vor allem dem selbst geschriebenen Kärtchen mit dem Namen der gesuchten Person. Obwohl es jetzt auch die Hightech Variante gibt, sein I-Pad in die Höhe zu halten, vermitteln mir diese Geschäftsleute den Eindruck, als würden sie jetzt am liebsten das Pappschild oder auch den Bildschirm ganz schnell verschwinden lassen wollen. Manche haben das Glück es irgendwo abstellen zu können, alle anderen versuchen das Schild mit so viel Würde wie möglich zu tragen und nicht so auszusehen, als würden sie nicht gerade kläglich dabei scheitern. Diese Art der Begrüßung ist auch am uninteressantesten. Nach einem kurzen Aufbau des Augenkontakts, in dem sehr schnell abgeklärt wird, ob man auch die richtige Person ist, folgt ein noch kürzerer Händedruck und ohne lange zu fackeln, verlässt man das Areal.

Viel interessanter und herzerwärmender sind Familien oder Freunde die ungeduldig auf die Anreise ihrer Verwandtschaft und Bekanntschaft warten.

© Daphne Strain

Ich kann mich an eine Szene am Flughafen von New York erinnern, bei der ein kleines Mädchen durch das Gate gelaufen kam, hinter ihr eine Flugbegleiterin und auf sie zustürmend, ihr Vater. Ohne wirklich seinen Schwung abzubremsen, hat er sich vor ihr auf die Knie geworfen, sie in die Arme geschlossen und einmal durch die Luft gewirbelt. Vor allem bei einer solchen Begrüßung wird mir immer deutlich, dass jeder einzelne dieser Passagiere eine Geschichte hat. Vielleicht ist das kleine Mädchen (zum ersten Mal) alleine geflogen, weil ihre Eltern in unterschiedlichen Teilen des Landes leben oder sie hat sich dazu entschlossen den

Abnabelungsprozess zu beschleunigen und wollte alleine die Welt erkunden, bis sie schließlich zurück nach New York zu ihren Eltern geflogen ist. Wer weiß das schon. Auch die Frau die mit ihrem City Roller durch die Tür geflitzt kam, hat bestimmt Interessantes erlebt, sowie der junge Mann, der mit einer Hagebuttenpflanze in einem roten Topf immer wieder prüfend auf seine Uhr gesehen hat.

Ich frag mich, was die Wartenden gesehen haben, als ich vollbepackt mit einem 31,7 kg schweren Koffer und einem gefühlten ebenso schweren Rucksack durch das Gate gewankt kam (das Wanken zeugte nicht vom übermäßigen Genuss, der während des Fluges angebotenen Spirituosen, sondern ist durch den Schlafentzug, den Versuch nichts fallen zu lassen und gleichzeitig der Schwerkraft des Rucksacks zu widerstehen, zu erklären.) Aber im Grunde ist es ziemlich eindeutig glaube ich. Auf der einen Seite eine übermüdete aber gleichzeitig verschlafen wirkende Heimkehrerin und auf der anderen Seite ein kleiner Haufen Leute, unterschiedlichen Alters, auf ihren Gesicht eine Mischung aus Ungeduld, unterdrückter Tränen und Vorfreude und in ihren Händen ein zwei Meter langes Schild mit der Aufschrift „Willkommen dahoam“ zeigen. Dabei kann es sich nur um eine verschollen geglaubte Tochter bzw. Freundin handeln. Und wie alle anderen hatte ich eine Geschichte zu erzählen. In einem Monat hatte ich nicht nur einige der interessantesten Großstädte der USA gesehen, sondern hatte auch das Glück fast fünf ganze Monate in der, für mich, schönsten Stadt Amerikas zu verbringe, nicht der Big Apple, sondern The Windy City – Chicago.

Während meiner Reise, hab ich festgestellt, dass es möglich ist, in jeder einzelnen Stadt Amerikas mindestens einen Starbucks in Reichweite zu finden, egal wo man sich befindet. Theoretisch wäre es sogar möglich, sich in einem Starbucks einen Venti Ice Chai zu kaufen, ihn bis zum nächstens Starbucks auszutrinken, um sich dort einen neuen zu kaufen. Denn der Kaffee Konzern wäre ja blöd, wenn er seinen Jüngern keine schnelle Abhilfe gegen den brennenden Herzenswunsch nach mehr oder weniger frisch aufgebrühten Kaffee leisten würde.

© Daphne Strain

Doch die weiße Sirene auf dem grüne Hintergrund ist nicht nur ein Symbol für tausende Kaffee-Pilger, die sich erhoffen dort ihren morgendlichen Muffel vertreiben können, sondern auch ein Zeichen für das sogenanntes „urban gentrification“. Im Grunde beschreibt dieser Term einen ganzen Prozess in dem die statusniedrige Bevölkerung, die in einem Stadtteil lebt herausgedrängt wird und durch eine statushöhere Bevölkerung ersetzt wird. Das erste Anzeichen hierfür ist zum einen das Einebenen bzw. Begradigen der Straßen, das aufpolieren der Häuserfronten, was einher geht mit der Erhöhung der Mieten, sowie das eröffnen eines Starbucks. Vor allem das Eröffnen einer solchen Kette, ist ein verlässliches Anzeichen dafür, dass das Viertel aufgewertet wird, denn Starbucks zieht ein ganz anderes Klientel an, welches sich regelmäßige $6 Kaffees leisten kann. Dieser Prozess gilt nicht nur für Starbucks, sondern auch für einen McDonald’s, der durch ein Vapiano ersetzt wird.

Für mich war es ganz einfach eine Orientierungshilfe. Man muss wissen, dass in manchen amerikanischen Städten die Viertel sehr schnell wechseln, von sicher zu relativ sicher zu „jetzt solltest du besser umkehren“. Sobald ich nach 15 Minuten keinem Starbucks oder ähnlichem über dem Weg gelaufen bin, habe ich mich dazu entschlossen langsam aber sicher Land zu gewinnen. Im Allgemeinen eignet man sich nach einigen Monaten in den USA eine Art „Überlebensmodus“ bzw. Verhaltenskodex an. Ein Beispiel dafür wäre auch das „Hi, how are you?“ bzw. der leichte Smalltalk. 

© Daphne Strain

In Amerika ist man sehr auf guten Service bedacht und darauf im Allgemeinen höflich und freundlich zu sein. So beginnt man jede Begegnung, egal ob privat, geschäftlich oder beim Einkaufen, mit belanglosen Smalltalk über das eigene sowie das Wohlbefinden anderer.

Dieser ist meistens absoluter Quatsch und Heuchelei, niemand will wissen, wie schlecht es dir wirklich geht, aber er gehört nun mal zum guten Ton. Dennoch, auch wenn das nun oberflächlich erscheinen mag, es hat mir irgendwann Spaß gemacht mich einfach mit den Leuten zu unterhalten. Ich vermute auch stark, dass auf diese Weise der Eindruck gewonnen wird, dass Amerika ein sehr offenes und freundliches Land ist, denn Jeder quatscht mit Jedem, auch wenn es nur Belanglosigkeiten sind. Trotz der Belanglosigkeiten hab ich mich in Amerika sehr wohl gefühlt. Die Menschen dort sind wahnsinnig hilfsbereit und freundlich (vielleicht auch weil dieser Smalltalk so tief in ihrem Verhalten verwurzelt ist). Denn wenn man verloren an einer Straßenecke steht und so aussieht als könnte man seinen Straßenplan nicht entziffern, dauert es keine zehn Minuten bis jemand dir seine Hilfe anbietet.

Irgendwann hatte ich mich aber so gut angepasst, dass ich zum einen keinen Straßenplan mehr entziffern musste und zum anderen nicht mehr als „Tourist“ aufgefallen bin. Ich wurde immer weniger häufig von „Tour Guides“ angesprochen, ob ich nicht eine Helikopter Tour über die Skyline machen wollte, denn nur für mich würden sie einen speziellen Preis von (nur) $120 aushandeln.

So habe ich auch meinen Weg zum Flughafen gefunden, ganz ohne verloren zu wirken und fremde Hilfe zu benötigen. In meinem Koffer nicht nur Übergepäck und mein Überlebensmodul sondern auch unzählige Erfahrungen und Erinnerung. Zum Glück haben die nichts gewogen, sonst hätte ich vermutlich gar nicht mehr zurück nach Hause reisen können.

Text // Daphne Strain