Grüne Jugend Freising gibt der anonymen Flüchtlingsmasse ein Gesicht und organisierte den Vortrag „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“ – das sagte Goethe einmal. Ein passend gewähltes Motto für den Vortrag zweier Menschen, die darüber berichten, warum und wie sie geflohen sind – weil sie einfach „Mensch sein wollen“, so wie jeder andere auch. Viele Interessierte aus allen Altersgruppen waren am Mittwochabend ins Kardinal-Döpfner-Haus gekommen, um bei der Veranstaltung der Grünen Jugend den Geschichten von Adan und Toufik zu lauschen und einen Einblick in deren Leben zu erhalten.

Jugendreferent und Bezirksrat Johannes Becher, der als Moderator durch den Abend führte, begrüßte die Zuhörer und übergab schließlich das Wort an Adan aus Somalia, der mit viel Mut und Gefühl anfing, die Geschichte seiner Flucht auf Deutsch zu erzählen. Der 19-Jährige lacht, wirkt sympathisch und wünscht den Zuhörern „einen schönen Abend“. Der mit acht Geschwistern in einem kleinen Dorf in Somalia aufgewachsene Adan floh aus seiner Heimat, als dort die Terrorgruppe Al-Shabaab, ein regionaler Ableger der al-Quaida, anfing, alle jungen Männer zu Soldaten zu machen. Nach zwei Jahren in Äthiopien, dem Heimatland seiner Mutter, wo er auch die Schule und sein Abitur absolvierte, wurde er jedoch von der Polizei festgenommen und wieder zurück nach Somalia geschickt, im Verdacht er gehöre – als Somalier – der Al-Shabaab an.
Weil er dort nicht bleiben wollte, fand er zusammen mit seinem Bruder einen Schleuser, der sie über den Sudan nach Libyen bringen sollte. Allerdings hatten die beiden keinen Schimmer, was sie bei dieser Reise erwarten würde. Nach hunderten Kilometern in einem Lkw mit 120 Personen, wurden sie in ein Lager gebracht, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie für die weitere Reise in die Wüste 5000 Dollar bezahlen müssen. Adan und sein Bruder hatten kein Geld, sie wollten zurück.

 

 „Aber das ging nicht“, erklärt Adan. „Es gab zwei Straßen: Die eine war der Tod, die andere Hierbleiben.“

Adan: „Das Wasser war mit Benzin versetzt“

Also wurden sie in die Wüste gebracht, wo sie mit 300 Anderen darauf warteten, Geld von ihrer Mutter zu bekommen. Fünf Monate lang dauerte es, bis diese das Haus verkauft hatte und das Geld an die Schleuser gelang. Während dieser Zeit bekamen Adan und die anderen nur wenig Essen. Das Wasser wurde mit Benzin versetzt, wodurch die Beine gelähmt werden, damit niemand weglaufen konnte. Den Flüchtlingen war es außerdem untersagt, miteinander zu sprechen. Viele sind in dieser Zeit gestorben, auch sein Bruder, erzählt Adan.

Mit 13 anderen ist er schließlich nach Tripolis, in die Hauptstadt Libyens, gekommen. Da dort zu der Zeit auch Krieg herrschte, wollte Adan weiter nach Europa. Für 1600 Dollar sollte es in einem Plastikboot mit 120 Leuten nach Lampedusa gehen. Auf der Fahrt bekam dieses Löcher und Wasser gelangte ins Boot. „Ich dachte, anstatt nach Europa, komme ich eher nach unten“, schilderte Adan die Erlebnisse. Nach acht Stunden wurden sie von italienischen Rettungskräften gerettet. In Neapel angekommen, mussten alle ihre Fingerabdrücke abgeben, um Essen zu bekommen. Adan war zunächst misstrauisch und wollte dies nicht tun, wegen des großen Hungers gab er aber nach und ließ sich registrieren.

Schließlich wurde ihm von den Behörden mitgeteilt, dass er nach Mitteleuropa weiterreisen könne. Für 700 Euro ging es mit einem Reisebus nach Deutschland und in die Bayernkaserne. „Die Polizei in München war sehr nett“, erzählt Adan. Mit Freunden kam er im November 2014 nach Moosburg, wo er bis heute wohnt. Viele haben ihm geholfen, Deutsch zu lernen und ihn zu integrieren, erzählt er. Mittlerweile besucht er die Berufsschule Freising und sein Traum ist es, einmal Medizin zu studieren. Beim TSV Moosburg in der Neustadt trainiert Adan außerdem die F-Jugend voller Lebensfreude und ist der „Liebling der Bambini“, wie Becher berichtet. Über seine dreijährige Flucht sagt Adan schließlich: „Ich möchte nicht zurückschauen, ich will nach vorne blicken“ und bedankt sich bei den Zuhörern für das Interesse an seiner Geschichte.

Anders, aber ebenso gefährlich, war die Flucht für den 25-jährigen Toufik aus Syrien. „Niemand hat mit einem Krieg gerechnet“, fängt er an. Am Anfang gab es immer noch Hoffnung, viele wohnten in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden. „Doch mit jedem Jahr wurde es schlimmer.“ Bis der Krieg nicht nur die Städte, sondern auch die Dörfer erreichte und alles kaputt war, wie beispielsweise die Universität, an der Toufik und seine Frau Krankenpflege studierten.

Toufik: „Ich wollte nicht auf Menschen schießen“

Weil auch er nicht zum Militär und in den Krieg wollte, entschloss er sich, nach Europa zu fliehen, ohne einen Plan, ohne einer Idee, was ihn dort erwarten würde. Seine Frau und seinen Sohn ließ er wegen des Risikos zurück, in der Hoffnung, er könne sie nachholen. In die Türkei war es noch relativ einfach mit einem Pass einzureisen, berichtet Toufik. Der erste Versuch, nach Griechenland über Land per Lastwagen zu kommen, scheiterte aber. Von der Polizei wurden sie mit verbundenen Händen auf einem Boot zurückgeschickt: „Im Wasser hätten wir nicht schwimmen können und wären ertrunken.“
Der zweite Versuch übers Meer klappte schließlich.

Nach zwei Monaten in Griechenland ging es über Mazedonien und Serbien mit wenig Essen und Trinken zu Fuß in die Berge, wo sie von Schleusern abgeholt hätten werden sollen. Statt den von den Schleusern angekündigten neun Stunden brauchte die Gruppe um Toufik dafür aber fünf Tage und wegen des andauernden Regens machten sie erst einmal Pause in einem kleinen Haus in den Bergen – die Schleuser und das Geld waren weg. Auf dem Weg zu Fuß per GPS nach Ungarn wurden sie von der serbischen Polizei festgenommen und durften gegen 50 Euro pro Person weitergehen. In Budapest wurde Toufik schließlich als Asylbewerber registriert – es hieß: Fingerabdruck abgeben oder den ganzen Weg wieder zurück.

Für 400 Euro pro Person wurden sie dann mit dem Auto bis in ein Dorf bei Passau gebracht und mitten in der Nacht um 2 Uhr rausgeschmissen: „Jetzt seid ihr in Deutschland.“
Weiter ging es nach München und ebenfalls in die Bayernkaserne, bis Toufik nach eineinhalb Monaten auch nach Moosburg kam. Mittlerweile sind seine Frau und sein Sohn nach Deutschland nachgekommen, die er über ein Jahr lang nicht gesehen hatte. Die beiden wurden in Rostock registriert, ihre Asylanträge bereits nach zwei Monaten anerkannt, worauf Toufik nach einem Jahr bislang wartet. Bald kann er aber immerhin wieder mit seiner Familie zusammen leben. Zuerst möchte er noch besser Deutsch lernen, dann will er eine Ausbildung als Krankenpfleger machen.

Auf die Frage, ob er wieder zurück in seine Heimat gehen würde, wenn der Krieg vorbei ist, antwortete er: „Ja, es ist meine Heimat und wir, die jungen Leute, müssen das Land wieder aufbauen.“ Johannes Becher bedankte sich zum Schluss bei den beiden für die mutigen Vorträge über ihre Flucht. Adan brachte das Fazit des Abends auf den Punkt: „Gemeinsam sind wir stark.“

 Text // Laura Schindler